Auf nach San Francisco

10. Woche, 17. - 23. Juli 2006
Den Montagvormittag verbrachte ich erneut bei starkem Verkehr auf dem Highway 101. Nach längerer Bergfahrt erreichte ich den Hgw1, der mich in Küstennähe weiter nach Süden bringen sollte. Ich dachte, dass es bei der Abzweigung gemütlich zum Meer gehen würde und war enttäuscht, als es nach 350m Bergfahrt noch einmal 300m hoch ging. Danach kam jedoch eine höllische Talfahrt, die mich praktisch auf Meereshöhe brachte. Anschliessend ging es wieder bergwärts und bei 231m Höhe, kurz vor dem Erreichen des höchsten Punktes, verliessen mich die Kräfte. Mit relativ vielen Kilometern und Höhenmetern in den Beinen fand ich einen schönen Platz im nahe gelegenen Wald.
 
 
 
Nachdem ich am Dienstagmorgen die letzten Meter bis zur Passhöhe erreicht hatte, ging es logischerweise abwärts. Aus einer anfänglich gemütlichen Talfahrt wurde jedoch eine immer brutaler und gefährlich werdende Höllenfahrt. Teilweise war die Strasse an der Seeseite so stark beschädigt, dass ich nur im Schritttempo weiter fahren konnte und mich wirklich nur auf die Strasse konzentrieren musste. Um die prächtige und eindrucksvolle Landschaft zu bewundern, machte ich öfters Stopps an den einzelnen Visitor points. Das eindrückliche Grollen der Naturgewalten und die aufsteigende, salzhaltige Gischt sind faszinierende Momente.
 
An den Visitor points nehmen es die Amerikaner lockerer. Sie fahren bis zum Rande der Klippen, machen kurz einen langen Hals und fahren weiter. Sollte jemand jedoch auf die Idee kommen auszusteigen, merkt man an dem watschelnden Gang sofort, dass die Person des Laufens unkundig ist und sich höchstens bis zum 5m entfernten Sicherheitszaun schleppen wird. Ich habe Amerikaner erlebt, die auf den Campingplätzen zur 50m entfernten Toilette mit dem eigenen Auto fuhren. Daher bin ich zu der festen Überzeugung gekommen, dass es in einigen Jahren irgend einmal in Amerika zu einer Mutation kommen wird, wo das Auto bei der Geburt den neuen Erdenbürgern gleich an ihrem Allerwertesten angewachsen sein wird.
 
Nachdem ich dann auf Meereshöhe angelangt war, wurden die Hügel sanfter und zwangen mich nicht mehr zu starken Bremsmanövern. Gegen Abend war dann mein Gangschaltungskabel für den vorderen Zahnkranz an der Reihe und brach. Ärgerlich daher, da ich keinen Ersatz hatte und bis San Francisco warten musste. Bei der allgemeinen Fahrradkontrolle am Abend stellte ich noch fest, dass mein Zahnkranz vorne wackelte. Da staunte ich nicht schlecht. Jetzt musste ich in S.F. eine Grossrevision einplanen. Nachdem das Zelt vor dem Ort Porto Arena stand und ich im Schlafsack verschwunden war, kreisten immer noch die Gedanken über das Desaster mit meinem Fahrrad. Was mache ich in Mexiko, wo es keine Ersatzteile gibt oder schwer zu beschaffen sind?
 
 
 
Ach, haben es die Seelöwen doch schön!
Den ganzen Tag faulenzen.


Frisch gewagt ist halb gewonnen! So startete ich in den neuen Tag und fuhr nur noch mit der vorderen grossen Übersetzung durch die Gegend. Wenn es zu steil wurde, musste ich schieben. Das wiederum kam meinem Hinterteil zu gute und er konnte sich in den einzelnen Marschphasen regenerieren.
 
 
 
       Nach wenigen gefahrenen Kilometern sah ich ca. 150m vor mir eine Radfahrerin aus einem Campground herausfahren. Ich folgte ihr und kam ihr mit der Zeit beachtlich näher. Ich wollte gerade zum Überholen ansetzen, als es leicht bergwärts ging und sie in den Pedalen stehend, den Berg in Angriff nahm. In dem Moment dachte ich: "ach, wieder eine 20 jährige amerikanische Studentin, die Angst hat, dass sie Fett ansetzen könnte und daher eine kleine verlängerte Wochenendausfahrt unternimmt", und liess sie von dannen ziehen. Nach wenigen Kilometern, ich kam gerade einen Hügel herauf, stand sie am Strassenrand und bestaunte ihr Fahrrad. Nachdem ich sie fragte, ob ich ihr helfen könnte, meinte sie: "wir können uns auch deutsch unterhalten". Beim weiteren Gespräch stellte sich heraus, dass sie von Vancouver nach San Diego unterwegs war, aus Hessen stammt und 57 Jahre alt war. Da kann man mal sehen, wo die Vorurteile hinführen können.

Zusammen fuhren wir zum nächsten Ort und tranken einen Kaffee. Bei den weiteren Gesprächen stellte ich fest, dass sie eine grosse Verehrerin von "Lonely Planet" war. Wenn Lilo, so hiess die Stramplerin, das Buch aufschlug, hatte es starke Ähnlichkeit mit einem Pfarrer, der die Bibel öffnet. Ich kannte bis zu dem Zeitpunkt diesen Reiseleiter in Buchform noch nicht und war erstaunt, wie umfangreich und ausführlich die ganze Küste beschrieben war. Sie erzählte von Campgrounds, in denen man als Hiker oder Biker nur 3$ zahlen muss und noch dazu warm duschen kann (hatte ich einen so starken Geruch?). Das wollte ich mir doch nicht entgehen lassen und fragte, wo denn die nächsten Plätze wären. Lilo wusste dank ihrem Buch bestens Bescheid und so fuhren wir zusammen (Lilo immer voraus) zum nächsten Campground, den wir um ca. 17 Uhr erreichten. Es bewahrheitete sich: 3$ für jedes Zelt und warm Duschen war an diesem Tag in dem Preis eingeschlossen. Zudem konnte ich meine Spaghetti mit Currysosse, die es zum Nachtessen gab, an einem Tisch sitzend geniessen.
 
Nach dem Frühstück (wieder am Tisch), fuhren wir am Donnerstag zeitig los. Ungeahnte Hügelchen und Hügel wurden trotz meinem Handicap mit der Schaltung bewältigt. Lilo war auch an diesem Morgen wieder erpicht darauf, einen Kaffee in einer Bäckerei zu trinken und eine zuckerstrotzende Blätterteigschnecke zu naschen. Ich war auch nicht abgeneigt ein Muffin zu verschlingen, obwohl ich auf dem Zeltplatz schon ein deftiges Frühstück hatte. An diesem Morgen hatten wir einen richtigen Bikerstützpunkt erwischt. Im Laufe der Kaffeepause gesellten sich sicher 15 Biker zu uns und noch mehr fuhren an dem Kaffee vorbei, oder kauften im gegenüber liegenden Kaufladen Proviant ein. Im Kaffee wurde unterdessen heftig diskutiert über Route, Gangschaltung und Reifen. Nach der Stärkung ging es erst einmal kräftig den Berg hoch. Jetzt merkte man beim Fahren doch, dass man sich in südlichen Regionen aufhält. Die nahe gelegenen Hügel waren nicht mehr in dem satten Grün wie vor ein paar Tagen und den Wassermangel konnte man an jedem Halm erkennen. Fuhr man in eine Senke oder Tal, war man von den Düften der Eukalyptusbäume umgeben. Jetzt musste auch bei den Pausen eine grössere Menge getrunken werden. Lilo wollte keinen Meter von ihrem Lonely Planet Kurs abweichen und zückte nach jeder Kreuzung die Reisebibel. Mir war es eher egal. Ich sagte mir, solange die Kompassnadel nach Süden zeigt, ist alles o.k. Ich muss jedoch erwähnen, dass sie meistens Recht hatte mit den Wegen, denn wir kamen abseits des grossen Verkehrs immer näher an S. F. heran. Sie wusste natürlich auch, wo der Hiker/Biker Campground sich befand. Nach dem Entrichten der Gebühr von 2x3$ für die Zelte, wurde wieder warm geduscht. Dieses mal musste ich jedoch 25c in den Automaten werfen. Luxus hat eben seinen Preis!

Der Freitag lief eigentlich im gleichen Rahmen ab. Wie bei einer Zeremonie wurden nach dem Frühstück die Zelte demontiert und die Fahrräder bepackt. Am Ausgang des Campgrounds wurde langsam losgefahren, um wenig später in den Jagdtrieb zur nächsten Bäckerei auszuarten. Bei einem ausgedehnten Kaffeehalt erzählte mir Lilo viel von ihrer Familie (kam etwa das Heimweh in ihr hoch?) und von den früheren Reisen mit dem Fahrrad in Neuseeland und Australien, die sie auch alleine und nur mit Lonely Planet bewaffnet, durchgeführt hatte. Ich fand das doch ziemlich mutig und ungewöhnlich für eine Frau. An diesem Tag plauderten wir mehr als dass wir gefahren sind. Wir hatten es nicht eilig, denn wir standen vor den Toren von San Francisco. Am nächsten Tag wollte Lilo nach Angel Island wo sich auch ein Hiker/Biker Campground befinden sollte, und ich wollte zu meinem Bruder nach Richmond. So steuerten wir am späten Nachmittag den Campground vor der Ortschaft S. Anselmo an, der schön in einem Wald gelegen war.
 
Am Samstagmorgen fuhren wir früh los, damit jeder von uns seine Bleibe vor dem Eindunkeln erreichen konnte. In San Rafael verabschiedeten wir uns, und ich konnte nach langem Suchen des Busbahnhofes mit einem Shuttelebus über die San Rafaelbrücke nach Richmond fahren. Mit dem Stadtplan in der Hand wollte ich in Richmond vom Buschauffeur wissen, in welche Richtung ich fahren muss, um zur Moran Ave. zu kommen. Die Richtung auf der San Pablo Ave. konnte er mir sagen, doch auf der Karte war es die falsche Ausgangslage. Nun suchte ich statt auf der linken Strassenseite auf der rechten Seite, was zur Folge hatte, dass ich lange Zeit in dem Quartier umher irrte, bis ich das Haus fand. Mein Bruder befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in den Ferien in Peru und so musste ich mich selber in seinem Haus einrichten. Mit Auspacken, Einkaufen und Waschen verbrachte ich den angebrochenen Abend. Nun wurde die geglückte Landung noch mit einem kräftigen Schluck aus der Rotweinflasche besiegelt.

San Francisco, ich bin da!