Bärenangst

3. Woche, 29. Mai - 4. Juni 2006
Der Montag fing gleich gut an. Ich hatte am Vortag mein Zelt, abgelegen von der Zivilisation, in einem kleinen Wäldchen aufgestellt und eine ruhige Nacht verbracht. Am Morgen wollte ich aus dem Zelt, als keine 20m entfernt eine Schwarzbärmama mit ihren zwei Jungen herumtollte. So schnell wie in diesem Moment hatte ich mein Zelt noch nie geschlossen. Was sollte ich tun? Erst den Pfefferspray in die Hand nehmen oder noch schnell ein Bild schiessen, bevor der Bär mich auffrisst? Nach kurzer Überlegung siegte doch noch das bisschen Mut in mir. Die Bären hatten sich in der Zwischenzeit ein bisschen von mir entfernt, sodass ich leicht zitternd, in der einen Hand die Kamera und den Bärspray (Pfefferspray) in der anderen, ein Bild machen konnte. Um bei der Wahrheit zu bleiben, muss ich sagen, dass mein Herz gewaltig boppelte. Die kleinen Bären waren jedoch so drollig, dass ich mich schnell beruhigte und am liebsten die Tollpatsche in den Arm genommen hätte. Nachdem ich mich beruhigt hatte, machte ich zögernd ein bisschen Lärm. Der Erfolg war auf meiner Seite, denn die Bären verzogen sich in gemächlichem Tempo. In diesem Fall war es doch von Vorteil, dass ich am Vorabend meinen ganzen Proviant auf einen hohen Ast gezogen hatte.
 
Am Dienstag schien die Sonne und die Vögel zwitscherten ihre Lieder von den Bäumen. Ich hätte zu diesem Zeitpunkt aus lauter Freude die ganze Welt umarmen können. So fuhr ich gemütlich auf dem wenig befahrenen Alaskahighway, der in Kanada zum HWY1 wurde, in Richtung eines vor mir liegenden Strasseneinschnittes, der ungefähr 600m lang war. Ich hatte den Anfang gerade erreicht, meine Haare sträubten sich und mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Wenige Meter vor mir war ein Grizzlybär auf die Strasse getreten und blieb mitten auf der Strasse stehen. Links und rechts waren nur Felsen, sodass der Bär nur zwei Möglichkeiten hatte. Entweder an mir vorbei oder in Richtung des Strasseneinschnittes zu trotteln. Der Grizzlybär machte jedoch etwas anderes. Er stellte sich auf und wurde gross und grösser, schnupperte in alle Himmelsrichtungen und setzte sich anschliessend hin. In einer Entfernung von ca. 10m sass er nun mitten auf der Strasse und schaute nach links und rechts. Ihm war es sichtbar wohl dabei. Mir jedoch erstarrten alle Knochen vor Angst. Ich war nicht in der Lage, die Kamera aus meiner Lenkertasche zu holen, um wenigstens ein Erinnerungsfoto zu machen. Nach längerem warten, mir kam es vor wie eine Ewigkeit, machte er sich dann aber doch auf den Weg durch die Schlucht. Gott sei Dank in die richtige Richtung. Ich hatte in dem Moment eigentlich genug von den Bären im hohen Norden.
 

 
  Am Donnerstag, den 1. Juni erreichte ich Whitehorse und konnte somit das erste mal den Yukon River sehen. Der Ort entwickelte sich Ende des 19. Jht. zur wichtigen Etappe der Goldsucher auf dem Weg nach Dawson City. Ab hier ist der Fluss bis zur Mündung in die Beringsee schiffbar. In der Stadt konnte ich nach längerem Suchen eine Prepaycard in einer Wäscherei kaufen. Die Karte wurde sofort mit einem Gespräch in die Schweiz getestet und mitgeteilt, dass ich noch nicht von den Bären aufgefressen wurde.
 
Seit ich in Anchorage losfuhr, bekam ich immer mehr Schwierigkeiten mit dem Hinterrad. Ständig musste ich die Speichen nachziehen und zudem war wieder eine gebrochen. Dieses mal auf der Zahnkranzseite. Gott sei Dank war der Verkäufer, der mir das Hinterrad in Deutschland verkaufte, nicht anwesend. Ich hätte ihn erwürgen können vor Wut. Ich war ein bisschen deprimiert, als es am Freitagnachmittag auch noch anfing zu regnen. Nass und vor Kälte zitternd, verkroch ich mich im Zelt. Ich wollte noch ein bisschen auf dem Handy an dem Reisebericht schreiben und bemerkte dabei den Totalausfall des Gerätes.

Dauerregen, Kälte, Handy defekt und kaputtes Hinterrad gaben keinen Anlass zum Jubeln. Zudem war ich zu diesem Zeitpunkt zu wenige Kilometer gefahren, um dahin zu kommen wo ich wollte. Die Stimmung war auf einem grossen Tief. In der Hoffnung auf bessere Zeiten wurde an diesem Tag erst einmal geschlafen.

Der Dauerregen hielt die ganze Nacht an und wollte auch am Sonntag nicht enden. In einer kleinen Regenpause wurde die gebrochene Speiche provisorisch repariert und das ganze Hinterrad neu justiert. Nach zwei Stunden war es dann wieder fahrtüchtig. Die Speichen hatten jetzt die richtige Spannung und das ganze Rad war zentriert. Ich wollte weiter. Der Tag war jedoch schon soweit fortgeschritten, dass ich mich entschloss noch die Nacht auf dem vom Regen durchnässten matschigen Gelände zu verbringen.
 

 
  In der dritten Woche meiner Reise zeigte der Tacho schäbige 1772km an.