Auf zum Cassiar-Stewart Highway

4. Woche, 5. - 11. Juni 2006
Am Montagvormittag war es noch kühl und nasskalt. Nebel lag über der Niederung, was auf mich einen gespenstischen Eindruck hinterliess. Trotzdem kam ich endlich mal so richtig in Fahrt. Ich schaffte doch an dem Tag 140km, was ein neuer Rekord für mich auf dieser Reise war. Endlich machte das Fahren wieder Spass und die Bären schienen verschwunden zu sein, womit ich mich gewaltig täuschte. In der Nacht tanzten zwei Mäuse, die mir lieber sind als Bären, auf meinem Zeltdach umher. Es war eine Zeit lang lustig, ihnen bei ihren Gebärden und Turnübungen zuzuschauen. Im Laufe der turnerischen Vorführung verscheuchte ich sie jedoch, um meinen wohlverdienten Schlaf wieder zu finden.

Zum Mittag traf ich auf dem Fahrrad einen jungen Berliner der eine Weltumrundung durchführt. Vier Jahre ist er schon unterwegs. Er startete in Berlin und fuhr durchs südliche Asien. Danach Australien, das er halb umrundete. Anschliessend flog er zum südlichsten Punkt Südamerikas und von dort mit dem Velo immer nordwärts. In Anchorage will er nach Russland fliegen und von dort zurück nach Berlin radeln, wo er in einem Jahr erwartet wird. Mordstour! Kurz darauf traf ich noch ein Schweizer Pärchen, die in Feuerland gestartet sind und bis Anchorage mit dem Rad fahren. Für ihre Reise brauchten sie, mit einem einjährigen Aufenthalt in Mexico City, zweieinhalb Jahre. Auch zu lange für mich!
 
Das Wetter schien sich auch langsam zu bessern, denn am Nachmittag kam sogar aus den Regenwolken die Sonne hervor. Mit durchwachsener Bewölkung fing es am Dienstag an und gegen Mittag war ich an der Abzweigung zum Cassiar-Stewart Highway (HWY37), wo ein Franzose stand und mich über den Weg ausfragte. Er schimpfte über das Wetter, da er von Calgary gestartet schon 10 Tage schlechtes Wetter hatte und völlig aufgeweicht war. Da ist es mir aber in den letzten Tagen wettermässig besser ergangen. In einer kleinen Bäckerei kauften wir noch die ersehnten Brote, die bei mir schon lange zur Neige gegangen waren. Nach einem kleinen Imbiss verabschiedeten wir uns, da er nach Anchorage fahren wollte. Ich bog in den HWY37 ein, der mich auf schnellstem Wege in den sonnigen Süden bringen sollte. Ermüdende kleine steile Hügel verhinderten jedoch am ersten Tag eine zügige Fahrt. Zudem wurde es richtig heiss. Die Sonne brannte erbarmungslos auf die staubige Strasse. Ich hatte Britisch Columbien erreicht.
 
 
 
Starker Gegenwind und viele Hügel trieben am Mittwoch den Schweiss aus meinen Poren und tropften auf die staubige Schotterpiste. Langsam schlängelte ich mich über die Cassiar Mountains in eine Höhe von ca. 2000m. Nun begann der spektakulärste Abschnitt des Cassiar-Stewart Highways. Die nördlichen Ausläufer der Rockies umschliessen hier ein enges Tal der Cassiar Mountains. Die Strasse windet sich in kurvigem Verlauf durch eine Kalksteinschlucht. Zwei Bergziegen (oder waren es Schafe?) wurden von der Kamera eingefangen, bevor sie im dichten, düsteren Gehölz verschwanden. Wildes, rauhes Land - wunderschön und doch durch die Einsamkeit beängstigend.
 
Am späten Nachmittag kaufte ich bei Indianern tiefgekühlten Fisch (kein Büffelfleisch wie ihre Vorfahren assen!) mit Pommes Frites für das Nachtessen. Auch bei den Indianern hat die moderne Technik Einzug gehalten. In einer Waldlichtung wurde das Zelt aufgestellt und anschliessend gekocht. Hui; sah das Essen nach dem es gekocht war aus! Aus den tiefgefrorenen Pommes Frites war ein matschiger Brei geworden und der Fisch war auch nicht mehr als solcher zu erkennen.. Schmeckte jedoch, nachdem es gewürzt war, besser als meine tägliche Portion Spaghetti.
 
Zur Wochenmitte sah ich noch zwei sehr scheue Wildschafe mit ihren riesigen Hörnern die Böschung hinaufrennen. Es war schon interessant, wie sie über die Berge hüpfen, ohne sich die Beine zu brechen.
 

 
  Vor der Ortschaft Dease Lake traf ich Günter Kreibig aus Ostdeutschland auf dem Fahrrad an, der in dem Ort wohnt. Er lud mich bei sich zu Hause zu einem Kaffee und Doughnuts ein. Die Zeit verging bei ihm im Gespräch viel zu schnell. Er arbeitete früher in einer Goldmine am Yukon als Sprengmeister und muss nun 700km mit dem Auto fahren, um anständiges Brot kaufen zu können. An dem Beispiel konnte ich erkennen, in welcher Abgeschiedenheit die Menschen hier leben. Man stelle sich vor, jemand aus Zürich fährt nach Hannover um Brot zu kaufen, und das auf teilweiser Naturstrasse. Ein Brot schenkte er mir noch, was ich wirklich flott fand. Besten Dank Günter, das Brot schmeckte ausgezeichnet. Nach dem Kaffeeplausch meinte er, ich solle lieber den nächsten Tag nützen um über die beiden vor mir liegenden Pässe zu kommen und zeigte mir beim gemeinsamen Weiterfahren einen Zeltplatz 10km ausserhalb von Dease Lake.
 
Günter hatte recht! Am frühen Morgen ging es hinter dem Zeltplatz aufwärts, und wie! Teilweise schiebend erklomm ich den Berg. Schweiss rann aus allen Poren und mein Trinkwasser schien zur Neige zu gehen auf der staubigen, zum Teil durch Schotterpiste unterbrochenen Strasse. Bei 1800 Höhenmetern dachte ich, der Gipfel wäre erreicht. Leicht abwärts durchfuhr ich eine Hochebene, um anschliessend nocheinmal 300m in die Höhe zu klettern. Die bezaubernde Landschaft liess jedoch alle Anstrengungen vergessen. Ich wurde tatsächlich in die Zeit von Jack London versetzt. In der Nähe des Flusses wurde in einer Mine noch nach Gold gesucht. Sollte ich es nicht doch einmal versuchen nach Goldklumpen im Bachbett zu suchen?

Am frühen Nachmittag war der höchste Punkt des Stikine Plateaus erreicht. In der berauschenden Abfahrt konnte ich in der Ferne die schneebedeckten Coastmountains erkennen. Am traumhaft gelegenen Iskut River, der in der Nähe meines Freitagzeltlagers entspringt, konnte ich nicht mehr. Von den Fusssohlen bis zum Kopf hatte ich mehr oder weniger Schmerzen. Ich war k.o. In diesen Momenten zweifelte ich immer mehr an mir. "Werde ich es wenigstens bis San Francisco mit dem Fahrrad schaffen"?
 
Am Samstag, es war inzwischen schon der 10. Juni 2006, fuhr ich mehrheitlich anstrengende Gravelroad. Bei den Talfahrten musste auf Schritttempo abgebremst werden, um nicht auf der Nase zu landen. Nach einer Kurve kam auf der Schotterpiste eine Brücke in Sicht. Da es sich nur um 50m Entfernung handelte, liess ich es laufen. Ein dumpfer Schlag am Hinterrad, es geschah im Bereich der Brückendehnungsstreifen, liess mich böses ahnen. Bei der Brücke machte ich noch eine Aufnahme und sah beim wiederverpacken der Kamera, dass ich hinten einen Platten hatte. Mist! Ein mir folgender Amerikaner ereilte das gleiche Schicksal. Auch er war anschliessend am reparieren. Mit neuem Elan ging es nach der Zwangspause weiter.
 

 
  Zuerst traute ich meinen Augen nicht. Aber es war Wirklichkeit. Ich kam um eine langgezogene Kurve und da standen sie. Vier Grizzlybären grasten neben der Strasse. Also gab es auch hier diese Monster. Ich stoppte und eine alte Bärenmama, durch die Bremsgeräusche etwas verwirrt, stellte sich auf die Hinterbeine und schnupperte in die Luft. Wauuu... war die gross! Schon etwas mutiger wurde die Kamera gezückt, um das Fotoalbum zu füllen. In grossem Bogen umfuhr ich anschliessend die Monster, die sich jedoch von ihrer Fresssucht nicht abhalten liessen. Kurze Zeit später stoppte ein mir entgegen kommender Lastwagen und warnte mich vor Schwarzbären, die zwei bis drei Meilen vor mir sein sollten. Hört das denn nicht mehr auf mit den Biestern?
 
Lange Zeit radelte ich in einer unrealistischen Bergwelt allein umher. Kein Auto oder eine Ortschaft in Sicht. Ich kam mir wieder sehr verlassen vor und die Trinkflaschen waren leer.

Nun muss ich doch einmal berichten, wie ich bei meiner Tour zu dem wichtigen Trinkwasser kam. Eigentlich sind ja Alaska und auch Kanada regenreiche Länder mit vielen Flüssen und Seen. Leider versickert das Trinkwasser sehr schnell in dem zum Teil lockeren Gestein. In Bächen, die man immer wieder von der Strasse aus sieht, muss man grössere Vorsicht walten lassen, denn wenn diese Bäche aus höher gelegenen Seen stammen ist mit einer Verschmutzung durch Biber zu rechnen, was zu einem 10 tägigen Totalausfall durch Biberfieber führen kann. Ich versuchte kleine, überschaubare Rinnsale anzuzapfen. War ich beim Wasser fassen einmal unsicher kam meine Filterpumpe zum Einsatz. Dadurch hatte ich nie Probleme. In bewohnten Gebieten wurden die Trinkflaschen an Tankstellen oder Restaurants aufgefüllt.

Mitten in der Wildnis tauchte dann ein Hotel im Walliserstil errichtet auf. Ich bog zum Hotel ab und liess mich von meinem heftigen Durst geplagt zu einem Coca Cola überreden. Der Inhaber, ein ausgewanderter Zermatter bediente mich und erzählte voller Freude, dass im Winter Touristen hier zum Heliskifahren kommen. Ich dachte bei mir: " Noch so ein technischer Unsinn des 20. Jahrhunderts in der unberührten, faszinierenden Landschaft."

Moose sind in Nordamerika keine kleinen grünen Pflanzen, sondern wie in Nordeuropa Elche. Ich durchfuhr gerade eine Sumpflandschaft, als so ein Riesentier, die zwischen 600 und 800kg wiegen können, wenige Meter vor mir die Strasse kreuzte. Erst Tage später erfuhr ich, dass sie im Herbst gefährlicher sein können als Bären. Also hatte ich keine Angst im Moment und fuhr ohne beschleunigten Puls weiter.
 
Noch eine kleine Episode, die am Sonntag geschah, muss ich erzählen. Ich schob wieder einmal meinen Drahtesel schwitzend in der einsamen Bergwelt den relativ steilen Hang hinauf, als ein Kanadier blinkte, wendete und neben mir sein Fahrzeug abstellte. Er reichte mir eine Flasche mit kühlem, erfrischendem Trinkwasser. Er meinte ich könne auch noch ein Bier haben, was ich jedoch ablehnen musste, um den Rest des Berges, der noch vor mir lag, zu überwinden. Wir plauderten über dies und das und in der Unterhaltung sagte er, dass er öfter an dem Pass vorbei kommt und Radfahrern die er trifft Getränke verteilt. Ich fand das natürlich zu dem Zeitpunkt, die Sonne brannte nämlich erbarmungslos vom Himmel, eine Supergeste und war glücklich, denn meine Wasserreserven waren wieder einmal ziemlich aufgebraucht. Ein wirklich toller Kanadier, besten Dank!
 
 
 
Ein Weisskopfseeadler von Weitem und einer aus der Nähe.
 
Am Ende der 4. Woche war ich doch 2573km gefahren und konnte somit einen täglichen Schnitt von ca. 100km verbuchen.