Fahrrad mit grossen Problemen

7. Woche, 12. Juni - 2. Juli 2006
Es bewahrheitete sich! Es waren am Wochenbeginn mörderisch heisse Tage und der Schweiss lief in Strömen von der Stirn, brannte erst einmal höllisch in den Augen, bevor er auf den heissen Asphalt tropfte.
 
 
 

 
  Ist das Kanada oder die Sahara?
 
Bei einer kleinen Erholungspause in dem reizenden Indianerdörfchen Savona beobachtete ich in der Nähe eines Souvenier-Verkaufsstandes die Wohnwagenbesitzer bei ihren Frustkäufen. Da wurde jeglicher Ramsch den geschäftstüchtigen Indianern abgekauft. Ich fand es gut. So fliesst wenigstens ein bisschen Geld in die Indianerreservate. Zwischen Kamloops und Cache Creek, ging es bei diesen hohen Temperaturen mehrmals 200 m bis 300m den Berg hoch, was ziemlich an meine Substanz ging. Beim Studieren der Karte hatte ich gedacht, dass ich gemütlich den Thompson River entlang radeln würde. Ich hatte mich wieder einmal getäuscht. Am jeweiligen Abend wurde der Energie- und Flüssigkeitsverlust mit bis zu vier Litern Orangensaft, den ich aus ganz frischem Orangenpulver herstellte, ausgeglichen.
 
Der 28. Juni war ein Reparaturtag. Ausser dass ich zwei Platten hatte (vorne und hinten), riss noch das Schaltkabel der hinteren Kaskade. Die Platten musste ich in der grössten Hitze am Mittag ohne Schatten reparieren und am späteren Nachmittag wurde das schadhafte Gangschaltungskabel ausgewechselt. Zudem wurde am Hinterrad eine Speiche auf der Ritzelseite provisorisch durch eine überlange, zurechtgebogene Speiche ersetzt, um die Acht am Rad etwas auszubügeln. Dabei entdeckte ich beim Reifen auf der Innenseite einen 5 cm langen Riss, der jedoch noch nicht durchgebrochen war. Jetzt hatte ich wieder Hände wie ein Kaminfeger. Aus diesem Anlass wurde ein etwas verfrühter Waschtag eingelegt. Bei der Hitze und dem Fahrtwind trocknete die frisch gewaschene Wäsche rasch am Fahrrad.
 
 
 

 
  Auch am Donnerstag ging es bei recht warmen Temperaturen öfters auf und ab, bevor ich in Lytton erneut den Fraser River erreichte. Am Abend hatte ich also die Cascade Range, ein Küsten-Gebirgszug der sich weit nach Oregon hinein zieht, erreicht und stand somit schon fast mit einem Bein erneut in den USA. Noch 200km und ich sollte die amerikanische Grenze erreicht haben. In Yale verbrauchte ich am Freitag die letzten kanadischen Cents die sich noch auf der Telefonkarte befanden, mit einem ausgedehnten Telefonat mit Elisabeth.
 
         Zum Wochenende erreichte ich Hope und musste auf den hektischen und stark befahrenen Freeway, der mich in die Nähe der Grenze bringen sollte. Nach wenigen Kilometern auf dem Freeway hatte mein Hinterradreifen seinen letzten Lebenshauch ausgeblasen und musste durch einen Ersatzreifen ersetzt werden. Dazu war der Pannenstreifen auf der dreispurigen Autobahn bitter nötig. Bei Mission, etwa 40km vor Vancouver, bog ich zum USA Border in Abbotsford ab. Somit verliess ich auch die Schienen der Canadian Railway. Es war eine interessante Erfahrung gewesen, auf gleicher Höhe mit der Bahn durch eine wunderschöne und beeindruckende Landschaft zu radeln. Ausserhalb der Stadt Abbotsford, ca. 500m vor der Grenze, stellte ich neben einem Wohnhaus mein Zelt auf, um die letzte Nacht in Kanada zu verbringen. Der Abschied aus dem wunderschönen Kanada fiel mir dann doch etwas schwer. "Time to say goodbye Canada" Es war eine sehr schöne Zeit.
 
Um dem grossen Ansturm an der Grenze zu entgehen, setzte ich mich schon am frühen Morgen in Bewegung. Von weitem sah ich schon die lange Autoschlange, die in Dreier-Kolonne sich auf den Weg zur Grenze machte. Jetzt hatte ich den grossen Vorteil nur zwei Räder zu haben und fuhr im Slalom Richtung Grenze. Ein netter, älterer Zöllner meinte freundlich: ich solle mein Fahrrad vor dem Zollgebäude abstellen, um dann anschliessend im Büro meine Stempel im Pass in Empfang zu nehmen. Die Sache wurde dann auch sehr speditiv abgewickelt. Beim Bezahlen der 7$ Gebühren dauerte es etwas länger, da der Zöllner für 50$ kein Wechselgeld hatte und erst zum Tresor musste. Nach längerem Warten hatte er den Safe doch noch geknackt und brachte das Wechselgeld und wünschte mir eine gute Fahrt. Ich ging durch die winkelige Tür nach draussen und reihte mich mit meinem Fahrrad hinter einem Wohnwagen ein. Als dieser abgefertigt war, sah mich der junge Zöllner und fragte, wo ich her komme. Ich sagte: "aus dem Büro." Nun meinte er ich müsse mit dem Fahrrad durch die winkelige Tür und dann durchs Office. Ich sagte ihm, dass ich das nicht machen werde, da ich gerade von dort kommen würde. Nun verfärbte sich bei dieser Widerrede die Gesichtsfarbe und wurde etwas heller. Aufgebrachter und mit barscherem Ton meinte er, ich solle nun ins Office gehen, was ich wiederum verneinte. Dieser Vorgang wiederholte sich 5 bis 7 mal (bei diesem Wortgefecht konnte ich nicht noch zählen) und aus des Zöllners Gesicht war sicher das ganze Blut geflossen. Der Höhepunkt war erreicht, als ich den Versuch machte, den Zöllner stehen zu lassen und einfach los zu fahren, mit der Bemerkung, dass hinter mir auch noch welche durch den Zoll wollen. Jetzt war sein Gesicht wirklich weiss wie ein Leintuch. Glücklicherweise wurde dieser Machtkampf beendet, als noch ein weiterer Zöllner hinzu kam. Er wollte noch einmal meinen Pass sehen und wünschte mir anschliessend mit einem Wink eine gute Fahrt. "Welcome to America"!
 
       Nach kurzer Fahrt auf einem Landsträsschen erreichte ich Sumas und anschliessend Bellingham. Um zur Olympic Halbinsel zu gelangen, musste ich auf den lärmigen und stark befahrenen Freeway 5. Bei einer Ausfahrt sah ich ein Schild mit der Aufschrift "Fährhafen". Ich war happy nicht mehr auf der Autobahn zu sein und sauste die 150 Höhenmeter zum Hafen hinab. In dem riesigen Gebäude, das ausschliesslich für Fährverbindungen nach Vancouver bis Alaska zur Verfügung stand, konnte mir keiner Auskunft geben über eine Schiffsverbindung zur Olympic Halbinsel. Die Enttäuschung war gross über so viel Unwissenheit des Personals.

Nachdem ich die 150m wieder hoch gefahren war, trampelte ich etwas verärgert auf dem Freeway5 weiter Richtung Seattle. Auf einem Rastplatz, von einer Seniorenvereinigung wurde gerade Kaffee und Kuchen gespendet, fragte ich noch einmal nach dem Weg zur Fähre. Mit einer Begeisterung wurde mir von einigen älteren Herrn erklärt, dass ich bei der Ausfahrt 230 auf den Highway 20 West stosse, der mich zur Fähre bringen würde. Ich hätte am liebsten diese Jungs umarmt. Vor Freude über diese positive Auskunft wanderte ein extra Bonus in ihre aufgestellte Kasse. Von dem Rastplatz aus waren es nur noch 4 Ausfahrten, bis ich den Highway 20 erreicht hatte. Aber auch hier ging es bei sehr starkem Verkehr ziemlich hektisch zu. Der Pannenstreifen war nur noch 20-30cm breit und brachte daher auch nicht die gewünschte Sicherheit. Etwas gestresst fand ich in der Nähe einer Feriensiedlung, in einem kleinen Wäldchen einen geeigneten Schlafplatz.
 
         Der Sonntag war relativ kühl. Man merkte es doch, dass man sich in der Nähe des Meeres befand. Am Morgen begann es mit Nebelschwaden, die sich jedoch sehr schnell verzogen. In einem Supermarkt trank ich noch am frühen Morgen einen Kaffee und kaufte ein. Beim Verlassen und Einpacken meiner Habe wurde ich von einem Amerikaner angesprochen, der fliessend deutsch (bayrisch) konnte. Er war vor Jahren beim Militär in Augsburg stationiert gewesen und hatte dort im Alleingang deutsch bei deutschen Freunden gelernt. Er überhäufte mich mit Tipps und Kartenmaterial. Chuck war einer der sehr hilfsbereiten Amerikaner. Danke! Bei Windstärke 4 erreichte ich gegen die Mittagszeit die Fähre, die mich auf die andere Uferseite zu dem Ort Townsend brachte.
 
Als Fahrradfahrer durfte ich als erster in den Schiffsrumpf fahren und im Restaurant Platz nehmen. Nach dem Ablegen breitete sich nach kurzer Fahrt erneut der Nebel aus und man war im geheizten Restaurant gut aufgehoben.
 
 
 
         Eine halbe Stunde vor dem Erreichen der anderen Seite ging ich zu meinem Gefährt hinunter und war erstaunt, dass sich so viele amerikanische Autofahrer für mein Fahrrad interessierten. Als sie merkten, dass ich der Besitzer war, fragten sie mich aus. Vom Nabendynamo, Lenker, Schaltung u.s.w. und natürlich auch, woher und wohin. Ich erzählte von meiner Reise und dass ich jetzt erst einmal die Olympic Halbinsel umrunden wolle. Jetzt bekam ich von allen Seiten Ratschläge, wie gefährlich der Highway 101 sei und dass sich auf der Seite kein Pannenstreifen befindet und der starke, kalte Wind und zudem sei das Wetter dort immer schlecht und es würde wenigstens einmal pro Tag kräftig regnen. Zwischen den gutgemeinten Ratschlägen, die nicht der Realität entsprachen, liessen die meisten ungefragt durchsickern, dass sie nicht George Bush gewählt hatten. Wer war es dann? Es waren fast ausnahmslos nette, herzliche Menschen, denen ich begegnete, zumeist Rentner, die in ihren Wohnwagen leben und durch ihr schönes Land reisen.
 
Apropos Wohnwagen! Auf einem grossen Rastplatz hielt im Norden Kanadas eines dieser riesigen Wohnwagenschiffe, die doch in grosser Anzahl durch Amerika und Kanada kreuzen und dazu beitragen, den Treibstoffverbrauch auf einem hohen Level zu halten. Interessiert fragte ich das reizende ältere Ehepaar über das Ungetüm aus. Daraufhin luden mich die Besitzer aus Texas freundlich zu einer Besichtigung ein. Ich betrat einen mit dicken Teppichen ausgelegten Wohn-, Eß- und Kochraum von locker 12 Quadratmetern. Die Inneneinrichtung entsprach jenem gewagten Stilmix aus Country Cottage, Florida Beach House und bayrischem Barock, wie man ihn in diversen "Haus und Garten" Magazinen an der Supermarktkasse findet. Ich versank in einem wohlriechenden Ledersessel, als der Inhaber mich über Motorleistung und Getriebe aufklärte. Ein Fernseher mit den Bildschirmmaßen einer Kinoleinwand flimmerte auf der einen Seite, auf der anderen führte eine Tür (!) ins Schlafgemach. Dort stand ein Bett von beneidenswerter Größe, außerdem Kleiderschrank, Schmink- und Nachttisch, und schließlich führte eine weitere Tür in ein vollständiges Badezimmer: Dusche hinter Glastür, Waschbecken mit goldfarbenen Armaturen und einer Toilette, von der man auf einem State Park Campground nicht zu träumen wagt. Wie funktioniert das in einem Fahrzeug, das halbwegs manövrierfähig bleibt? Ganz einfach: Die Wohnkabine verfügt über ausziehbare Wände. Auf beiden Seiten erweitert sich so im Stand und per Knopfdruck die Breite um min. 50 cm, macht also ein Meter plus die 2,5 Meter Wagenbreite und das ganze auf einer Wagenlänge von gelegentlich über 10 Metern. Da kommt anständig was zusammen …! Natürlich lässt sich so ein Wohnraum nicht mit einer zweiten Batterie versorgen, und deshalb trifft man eben diese rollenden Häuser auf Stellplätzen, die über die entsprechende Ausstattung verfügen oder das Gefährt ist mit einer anständigen Notstromanlage ausgerüstet. Als Anhänger wird sowieso ein Personenwagen angekoppelt und auf dem Dach befindet sich aus Sicherheitsgründen noch ein Rettungsboot. Nach der Besichtigung ging ich zu meinem Drahtesel, holte aus der Seitentasche meinen Benzinkocher heraus und machte mir meine Spaghetti mit Tomatensauce. So geht es auch!
 
Nach diesem geistigen Höhenflug nun weiter mit der Reise um die Olympic Halbinsel. Nach der Landung im Hafen von Townsend fuhr ich sofort weiter und erreichte nach einer Stunde den Highway 101West. In nordwestlicher Richtung ging es auf einem drei Meter breiten Pannenstreifen bei schönstem Wetter Richtung Pazifik. Es herrschte sehr wenig Verkehr und so konnte ich wieder einmal so richtig meinen Gedanken nachhängen, bevor ich ermüdet vor Port Angeles zeltete.
 
         Tachostand nach 7 Wochen 4908 Kilometer