Beängstigende Einsamkeit

2. Woche, 22. - 28. Mai 2006
       Eisiger Nordwind blies mir wie am Sonntag auch am Montag ins Gesicht und der Denali-Highway wollte kein Ende nehmen. In der Nacht auf Montag, ich hatte zwei Quadratmeter geraden Boden in der schneebedeckten Wildnis gefunden, hörte ich Wölfe heulen, deren Ton durch Mark und Bein gingen.

Mein Trinkwasser war über Nacht in der Flasche eingefroren. Ich fühlte mich in dieser bedrückenden Einsamkeit ziemlich verloren und allein, denn ich wusste, dass 100km vor mir und hinter mir wahrscheinlich keine Menschenseele zu finden war. Also kein Bein brechen und nicht krank werden war hier die Devise.
 
Ich hatte die höchste Erhebung des Denali-Highways erreicht.

Der eiskalte Nordwind frischte am Dienstag noch einmal mit einer Stärke zwischen 4 und 5 richtig auf und am frühen Nachmittag war das Ende des Denali-Highways erreicht.
 
 
 

 
  Bei Paxson entschloss ich mich, von der Kälte beflügelt, nach Süden auszuweichen, um den HWY1 bei Gakona zu erreichen.

In einer Talsenke herrschten wieder normale Temperaturbedingungen und ich beschloss, bei munterem Vogelgezwitscher meine Wäsche in einem kleinen See zu waschen.
 
In Richtung Tok fahrend, fragten mich zwei Indianer nach dem Weg zu der "grossen Stadt Chocopatscho", was für den Leser sicher für ungewöhnlich erscheint. Die Jungs in ihrem Rostvehikel sahen aber meine Strassenkarte in der Lenkertasche und hatten somit richtig kombiniert, denn ich konnte ihnen genau erklären wo es lang geht.
 
 
 
Nach einer Stunde radeln erreichte auch ich das "Dörfchen" und fragte einen Einwohner nach dem Weg zum Lebensmittelgeschäft. Nachdem er mir die nötige Auskunft gegeben hatte, fragte er mich, woher ich den komme. Ich sagte ihm, dass ich in Anchorage gestartet sei. Nach anstrengenden 750km lautete seine zweite Frage in vollem Ernst "Heute Morgen gestartet"? Man sieht, dass viele Amerikaner keine Ahnung von Raum und Zeit haben.

Vor dem grösseren Ort Tok wurde wegen Bauarbeiten an der Strasse mein Fahrrad auf ein Pilotfahrzeug geladen und so konnte ich mit dem Fahrer eine nette Unterhaltung führen. In dem ProvinzstädtchenTok erreichte ich den ALCAN und konnte meinen zusehends zur Neige gehenden Proviant auffüllen. ALCAN! Eingefleischte Nord-Amerika-Fans reagieren bisweilen heftig bei diesen fünf Buchstaben: ihr Blick verklärt sich, ihr Blutdruck steigt, in seltenen Fällen treten Hautrötungen im Gesicht auf. Und dabei steht ALCAN doch nur für eine Straße. Aber die hat es in sich: der Alaska Highway zieht sich über 2230km Länge als Verbindungsstrasse von Dawson Creek in Britisch Columbien bis nach Delta Junction in Alaska hin. Nachdem ich in der kleinen Indianersiedlung Tetlin die beeindruckende, archaische Kunst der holzgeschnitzten Masken und den farbenprächtigen Schmuck und die tollen Lederwaren bewundert hatte, fuhr ich anschliessend bei bedecktem Himmel in Richtung kanadischer Grenze. Ich war wieder mal dabei, meine Speichen nachzuziehen und ein Loch im Schlauch zu reparieren, als Amanda Lucus, ein 22 Jahre junges Mädchen, mich begrüsste.
 
Nur nicht ärgern!!!
 
         Sie war nach Abschluss ihrer Schule von Fairbanks mit dem Rad unterwegs und wollte nach Skagway, um dort Arbeit zu suchen. Zwei Tage fuhren wir zusammen und nachdem wir am 27. Mai die Grenze nach Kanada überschritten hatten, ich war im Yukonterritory gelandet, stellten sich doch zusehends Konditionsprobleme bei ihr ein. Nachdem wir Fisch und Chips in dem Örtchen City Lodge gegessen hatten, verabschiedete ich mich und fuhr im Dauerregen und schlechter Sicht weiter.
 
Der eisige Gegenwind liess das Stimmungsbarometer sinken und eine gebrochene Speiche sorgte für den richtigen Frust. Sch....Nachdem ich weitere 20km gefahren war, stellte ich das Zelt mitten in der Steppe auf. Im wärmenden Schlafsack konnte ich noch meinen Gedanken freien Lauf lassen und einen Rückblick über Alaska wagen. Ich verliess dieses grandiose Land mit so viel unvergesslichen Eindrücken und tiefgehenden Naturerlebnissen, dass der Abschied schwer fällt. Werde ich es jemals wieder sehen, seine karge Tundra, seine endlosen, einsamen Wälder, seine schneebedeckten Gipfel, seine wilden, ungezähmten Flüsse? Ich werde Alaska niemals vergessen!


Die zweite Woche war zu Ende und mein Velocomputer zeigte nun auf 1209km.